HANSESTADT LÜBECK / Ev. Aegidienkirche / Messingwandleuchter
Ev.
Aegidienkirche. Schlichteste der lübischen
Stadtpfarrkirchen. Ehem. in kleinbürgerlichem Sprengel. –
Die dreischiffige Backsteinhalle erhebt sich mit ihrem stämmigen
Westturm wirkungsvoll aus einer durch Kleinhäuser geprägten
Umgebung. – 1227 erste Erwähnung.
Der älteste fassbare Bau war eine vermutlich dreischiffige,
gewölbte Backsteinbasilika, deren Grundriss und ein 1912 an der Ostwand
des Turmes ergrabener Vorlagensockel Verwandtschaft mit einer Gruppe von
Kleinbasiliken um St. Johannis in Lübeck, Altenkrempe und
Mölln aus dem 2. V.
13. Jh. erkennen lässt; der Westturm wenig
später M. 13. Jh.
angefügt.
Das gotische Hallenschiff entstand in zwei
Bauabschnitten: In der 1. H. 14. Jh.
drei westl. Joche, im überhöhten Mittelschiff (vielleicht noch
unter Einfluss des Vorgängerbaus) quadratisch, in den schmalen Abseiten
längsgestreckt, von anspruchsloser Formgebung. Die
längsrechteckigen Pfeiler sind Teile der Sargwände, aus denen
die breiten Spitzarkaden mit abgefasten Kanten herausgeschnitten wirken, und
haben im Mittelschiff derbe rechteckige, in die Schildbogen übergehende
Vorlagen. Die dünnrippigen, gebusten Kreuzgewölbe liegen auf
einfachen Konsolen davor.
Um
1440 Anbau des Chores, etwas schiefwinklig, annähernd im
gleichen System, aus einem Joch mit schlichten Achteckpfeilern, über
denen breite Vorlagen zum Gewölbe aufsteigen (ähnlich wie im
Langhaus von St. Katharinen), und polygonalem 5/8-Schluss, dessen
gestelzte Seiten mit kleinen, rechteckigen Seitenschiffskapellen verschmelzen,
offenbar eine Reduktion des Chorplanes von St. Jakobi. Die Chorpfeiler
1647 durch Holzkonstruktionen nach Osten verstrebt, das folgende Pfeilerpaar
laut Inschrifttafel 1644
erneuert. In der südl. Seitenschiffswand eine flachbogige Nische mit
schmalem Kreuzrippengewölbe. Vor den Schlusssteinen der
Hauptgewölbe Wappenscheiben von 1705, im südl. Seitenschiff
eine gotische Scheibe mit Blütenkranz.
Etwa seit 1400 bis ins frühe
16. Jh. seitliche Anbauten der Kapellen und der
Gervekammer (im Norden) mit Kreuzrippengewölben und hohen rundbogigen
Öffnungen gegen die Seitenschiffe; alle bis auf die stark ausspringende
Vorrade- oder Kalvenkapelle auf der Nordseite mit blendengeziertem Giebel
(spätestens 1410 errichtet) unter das zusammenfassende Hallendach
gezogen. Das westl. Schiffsjoch blieb von Anbauten frei und zeigt außen
einfache Spitzbogenfriese, die z. T. an den Kapellen fortgeführt
wurden. Schlichte, zwei- bis vierbahnige Spitzbogenfenster. Norderportal in der
Gervekammer mit Birnstab und Wulstprofilen auf schräger Laibung,
1. Dr. 15. Jh. Alle übrigen Zugänge
verändert.
Westturm, fünfgeschossig, mit hohem,
achtseitigem Spitzhelm, nach Vorbild der St.-Marien-Türme durch
Gesimse, Friese und gepaarte, doppelbahnige Fenster mit Scheitelblenden
gegliedert, jedoch 1840 weitgehend überformt. Die beiden Untergeschosse
aus dem mittleren 13. Jh. Von ihrer urspr. Giederung an der Westwand
zwei dreiteilige Blendnischen mit überhöhtem Mittelfeld und
gedrückt spitzbogiger Rahmung. Reste ähnlicher Blendenpaare
außen an den Seitenwänden, von den Kapellendächern
verdeckt, sowie Spuren von Ecklisenen. An der Ostwand Dachansatz der
spätromanischen Kirche. Die Erhöhung des Turmes um drei
Geschosse wohl im Zusammenhang mit dem Neubau der Halle in der 1. H.
14. Jh., gleichzeitig Anbau der beiden schmalen Turmseitenkapellen in
Fortsetzung der Seitenschiffe, die mit der Turmhalle verbunden wurden. Die
Schlusssteine in den Kreuzrippengewölben zeigen beide skulptierte
Christusköpfe.
Der südl. Turmseitenkapelle
wurde zwischen 1506 und 1509 die Marientidenkapelle (später
Ahlefeldt’sche Gruftkapelle) angefügt, ein breiter Raum mit
zwei dreibahnigen Fenstern und schönem Sterngewölbe. Im Winkel
zur Turmseitenkapelle ein polygonaler Treppenturm. – Dachreiter
über dem Ostteil der Halle wohl A. 16. Jh. Luftige,
achtseitige Holzkonstruktion, von Fialen mit Streben umstellt und mit schlankem
Spitzhelm.
Ausmalung: Fragmente figürlicher
Wandmalerei an den
Oberwänden des Chores, urspr. in ein größeres
Dekorationssystem eingebunden, A. 16. Jh.:
Anna Selbdritt und hl. Martin zu Pferde mit dem Bettler sowie zwei
weibliche Heilige, hl. Aegidius und ein Bischof in
Baldachinarchitekturen. – An der Südwand der Turmhalle
Kreuztragung, A.
15. Jh. mit überlebensgroß dargestelltem
Christus.
Die reiche Ausstattung hat sich in ihrer
allmählich gewachsenen Ordnung ohne rigorose Eingriffe des 19. und
20. Jh. erhalten. Der Chorteil wird im Mittelschiff durch eine
hölzeren
Lettnerbühne (Singechor)
abgetrennt. Sie wurde 1586/87 als Ersatz für
eine 1420 erstmals erwähnte von T. Evers d. J. und seiner
Werkstatt geschaffen: ein prächtiges Werk der niederländisch
geprägten Spätrenaissance. Die Empore ist zwischen den
Chorpfeilern verspannt und wird in der Mitte von einer kannelierten,
quadratischen Stütze mit Kopfbändern in Gestalt weiblicher
Hermen getragen. Ihre Balkendecke an der Unterseite zeigt eine
Spätrenaissance-Bemalung in geometrischem Muster mit schablonierter
Ornamentierung. In den Emporenbrüstungen wechseln
Freisäulenpaare auf Postamenten, die schmale, übergiebelte
Figurennischen mit Christus und den Aposteln einschließen, und breite
Bildfenster unter Quaderbogen.
Die Gemälde, wohl von
G. v. Gehrden
nach manieristischen Stichvorlagen, stellen auf der Ostseite in vier Szenen
(Verkündigung, Heimsuchung, Geburt, Taufe) die menschliche Natur
Christi, auf der Westseite (Auferstehung, Himmelfahrt, Ausgießung des
Hl. Geistes, Jüngstes Gericht) seine göttliche Natur dar; an
den Schmalseiten Sündenfall, Verklärung Christi und
Kreuzigung. In den Bogenzwickeln allegorische Relieffiguren: Tugenden (Westen),
Artes liberales (Osten), Planeten (Schmalseiten). Im Fries des
Konsolengebälks ausgestochene Arabesken, unter dem Sockelfries mit
Beischriften zu den Gemälden Rollwerkgehänge. Die
Brüstung der geräumigen Wendeltreppe an der Nordostecke durch
eine dichte Folge von Hermenpilasterpaaren unterschiedlicher Gestalt und
Kostümierung gegliedert. Zierliches Portal mit Hermenrahmen und
Rollwerkkartuschenaufsatz für das Stifterwappen (Russe).
Türfüllung aus
verschachtelten Rahmenformen. Datum 1587, volle
Signatur.
Hölzerner
Altaraufbau 1701
unter Einfluss des ehem. Hochaltars der Marienkirche von Th. Quellinus, jedoch in
vereinfachter, luftig durchbrochener Form. Über hohem Sockelunterbau
Mittelnische mit lebensgroßer Kreuzgruppe, von Doppelsäulen
und Pilastern flankiert, zwischen denen allegorische Figuren des Glaubens
stehen. Aufsatz mit der Taube des Hl. Geistes in durchbrochenem Rund, zwei
weiteren Tugenden und dem triumphierenden Christus zwischen zwei Engeln als
Bekrönung. Über dem Altartisch gemaltes Abendmahl. Auf der
Rückseite des Aufbaus Grisaillegemälde, Abrahams Opfer und
Speisung des Osterlamms. – Der ehem. Schrein des vorhergegangenen
Hochaltars, eine der seltenen prachtvollen niederländischen Arbeiten
des beginnenden 15. Jh., kam 1709 in die Siechenhauskapelle von Klein
Grönau, 1915 in das St.-Annen-Museum.
Taufgruppe im
westl. Mittelschiffsjoch:
Bronzetaufe von
1453, Guss H. Gerwiges. Die
Kesselfünte, von drei knienden Klerikern getragen, hat ihren ehem.
aufgenieteten figürlichen und architektonischen Schmuck verloren. Der
reich gestaltete hölzerne
Taufdeckel 1709/10
von H. Freese,
zweigeschossig. Im hohen unteren Teil zwischen Akanthusvoluten acht
lebensgroße Putten mit den Leidenswerkzeugen, darüber auf
einer Volutenkrone freiplastische Gruppe der Taufe Christi. Gleichzeitig das
erhöhte oktogonale
Schrankenwerk mit konvexen Seiten und
kunstvoll geschmiedeten Spiralgittern.
Holzkanzel, am mittleren Pfeiler der
Nordseite, 1706–08 nach einem Entwurf von
C. Krieg, die
Bildhauerarbeiten von H. Freese. Breiter, marmorierter, dem
Emporentyp folgender Korb, von großen Voluten gestützt. An der
Vorderseite zwei schwebende Engel, ein Tuch mit der Stiftungsinschrift haltend.
Auf dem flachen, geschweiften Schalldeckel freiplastische Gruppe von zwei
Tugendfiguren, Glaube und Liebe sowie Putten mit Leidenswerkzeugen. Statuetten
der drei Kardinaltugenden an der Kanzeltreppe. Über dem
Säulenportal Stifterwappen (Russe) zwischen zwei Vanitas-Putten.
Schmiedegitter im Winkel von
Brüstung und Portal 1718.
Pastorenstuhl, rechts
unter dem Singechor, um 1500. Gefelderte
Rückwand und Wangen mit Faltwerk- und zwei durchbrochenen
Maßwerkfüllungen in der Mitte. Abschließend zwei
schöne polygonale Maßwerkbaldachine mit
Sterngewölben. –
Sitzreihe des Weißbrauerstuhls
links unter der Orgelempore, wohl noch aus dem
15. Jh. Einfach getäfelte
Rückwand mit schmalen Maßwerkauflagen im oberen Teil und
Baldachinkehle, die eine Maßwerkgalerie mit Fialen abschließt
(die westl. Hälfte 1624 für die Substruktion der Orgel
entfernt). Auf den Seitenwangen gekrümmte Drachen, deren Rachen
schlanke Säulenvorlagen entsteigen. – Im
Kastengestühl des
19. Jh. ornamentale Querfüllungen des
Barock wiederverwendet.
Orgel
1624–26 (Werk modern). Prachtvoller
spätmanieristischer Prospekt von M. Sommer nach Angaben des
Orgelbauers H. Scherer.
Die gelbe Fassung im Zuge der Wiederherstellung 1978–82 nach Befund erneuert.
Das Hauptwerk auf dem
Sockel der
vorhergehenden Orgel von 1451 und das
Rückpositiv in der Brüstung der kleinen Spielempore sind von
ähnlicher Gestalt, fünfteilig, mit dominierendem Mittelturm
und niedrigeren Spitztürmen an den Seiten; beide Prospekte werden durch
seitliche Basstürme so verklammert, dass sich ein gedrängter,
straff vertikalisierter, bis in das Gewölbe gestaffelter Gesamtaufbau
ergibt. Alle Türme von mastartig schlanken korinthischen
Säulen eingefasst, durch polygonale Tempelchen, Obelisken und
Musikantenputten bekrönt, mit korbartigen Unterhängen aus
Voluten. Schleier aus Knorpelwerk. An der durch Säulen gegliederten
Brüstung der Spielempore Tugendfiguren in Rundbogennischen. Die hohe
Substruktion zeigt an der Unterseite eine schlichte Kassettierung, an der
vorgeneigten Front feine Schnitzereien und Intarsien von B. Winne.
Akanthusanschwünge mit
großen Posaunenengeln außen an den Basstürmen
1715 von J. V.
Rabe an Stelle großer, mit biblischen Darstellungen
bemalter Klappflügel angefügt.
Hölzerne
Relieffigur des segnenden Christus, wohl
2. H. 13. Jh., zeitweilig an einer
Schlusssteinscheibe, doch sicher aus einem Altar, z. T. ergänzt.
–
Vesperbild, Holz,
mit stark ergänzter alter Fassung, um 1400.
–
Altarkruzifix, Holz,
1. H. 15. Jh., zeitweilig an einer
Schlusssteinscheibe, verstümmelt. –
Holzkruzifix, wohl das ehem. Triumphkreuz
der Kirche, mittleres 15. Jh., dem
Meister des Neukirchener Altars
(Landesmuseum Schleswig) zugeschrieben, kraftvoll und straff. –
Holzkruzifix an doppeltem Kreuz,
dessen rautenförmige Endscheiben mit den Evangelistensymbolen auf
Goldgrund bemalt sind, mittleres 15. Jh.
– Gekreuzigter
Christus von verlorengegangenem Kreuz,
überlebensgroß, M.
15. Jh. – Gemälde:
Salvator mundi,
überlebensgroß, 2. H.
16. Jh. –
Johannes d. T.,
überlebensgroß,
16./17.Jh. –
Rückkehr des verlorenen Sohnes,
M. 18. Jh. – Mehrere recht gute
Pastorenbilder des
17. bis 19. Jh., meist lebensgroß in
ganzer Figur.
Epitaphien:
Russe
(† 1584), Spätrenaissanceaufbau aus
Säulenrahmen und Ädikulaaufsatz mit Rollwerksäumen.
Im Hauptfeld unter einem Quaderbogen Gemälde der Auferstehung Christi
und der Stifter, im Aufsatz Jordantaufe. –
Reiche
1649. Gemaltes Bildnis (Hüftstück) in geschnitztem,
flachbogigem Rahmen mit seitlichen Säulen und ornamental
aufgelöstem Giebel, Giebelfiguren, Christus zwischen zwei Engeln, und
Knorpelwerkumrandung. –
Bürgermeister v.
Wickede († 1716), bewegter
Marmoraufbau von H. J.
Hassenberg. Auf einer Konsole mit Inschriftschild und vor
geschweifter Rückwand asymmetrische Gruppe einer das gemalte
Ovalbildnis des Verstorbenen haltenden „Lubecka“ und
zweier Putten mit Familienwappen und
Liktorenbündel. – Ferner
Holzepitaphien mit
Porträtgemälden der Verstorbenen vor stelenartigen Aufbauten,
allegorischen Attributen und Figuren:
Vermehren
(† 1718),
Carstens
(† 1733),
Luetkens
1781 (sehr ähnlich dem Epitaph Brokes in St. Marien),
Suhl
(† 1782).
Lindenberg
1893, Holz, von J.
A. Kubik und D. Erdmann, neubarock.
Grabkapellen: v. Breitenau,
1715 in die nördl. Turmseitenkapelle eingebaut. Die Eingangswand
dreiteilig, durch Quaderlisenen gegliedert. Die drei zugehörigen
Schmiedegitter aus den ovalen Öffnungen und das bekrönende
Wappen an einer hölzernen Abschlusswand der Turmkapelle aus dem
19. Jh. verwendet (fünf ehem. in der Kapelle befindliche
Kupferstiche in Riesenformaten von F. Langot etwa seit 1875 in
Deutsch-Nienhof). – v. Holstein,
1743–45 entsprechend der vorigen in die südl.
Turmseitenkapelle eingebaut. Pilasterportal aus schwarzem und weißem
Marmor. Der Mittelteil stelenartig hochgezogen mit Putten und Wappenkartusche.
In der rundbogigen Portalöffnung Schmiedegitter. Drei
Marmorsarkophage des mittleren
18. Jh. – v.
Ahlefeldt (ehem. Marientidenkapelle), 1717 eingerichtet.
Hölzerne
Portalwand
1755, durch gestufte Pilaster dreiteilig gegliedert.
Giebel mit Engeln und Wappen, Tür und geschweifte seitliche
Öffnungen vergittert.
Marmorsarkophage der Familien
v. Holstein und v.
Ahlefeldt, 2. H.
18. Jh. –
Scharbau, kleiner Kapellenanbau an der
Chornordseite von 1760. Die Öffnung zum Schiff mit Schmiedegitterportal
in schönem hölzernem Rokokorahmen. Das Innere an
Wänden und Decke mit zartem Rokokostuck
(erneuert). – Mehrere stark abgetretene Grabsteine des
mittleren 15. bis frühen 18. Jh., noch im
Fußboden.
Zwei
Messingkronleuchter, 1718 und
1784. – 11
Messingwandleuchter des
ausgehenden 16. und des 17. Jh., z. T. mit
Statuetten. – Unter dem Altargerät hervorzuheben:
Silberkelch 1597,
mit schönen ornamentalen Gravuren.
Altarleuchterpaar, Silber,
1703 von S. F.
Straube. Auf geschweiftem, von Blütenwerk
überzogenem Fuß mit Engelköpfen und Reliefs (Geburt
Christi, Fußsalbung durch Maria Magdalena, Gethsemane und Auferstehung)
ein zierlicher Balusterschaft mit Engelfigur als Träger der
Lichtschale.