AACHEN / Kath. Dom St. Marien
Kath. Dom St. Marien,
ehem. Pfalzkapelle und
Stiftskirche (
Domhof
): Die außergewöhnliche Bedeutung des Aachener Doms ist
gleichermaßen in seiner Geschichte begründet wie im hohen Rang seiner
Architektur. Charakteristisch die dreiteilige Baugruppe, in der Mitte der
Zentralbau aus dem späten 8. Jh., ein hohes, überwölbtes Achteck mit
sechzehneckigem Umgang von zwei Geschossen, umgeben von zumeist
spätgotischen Kapellen und bekrönt von einem barocken Faltkuppeldach mit
Laterne; daran anschließend der karolingische Westbau mit flankierenden
Treppentürmen und neugotischem Turmaufsatz, im Osten die hoch aufragende
gotische Chorhalle des 14./15. Jh. Der
Zentralbau entstand um 790/95 als
herausragender Bau der Pfalzanlage, die Karl der Große anstelle eines
fränkischen Königshofs hatte anlegen lassen und deren urspr. Gestalt und
Ausmaße durch zeitgenössische Beschreibungen überliefert sowie durch
Grabungen im 20. Jh. in großen Teilen erschlossen worden sind. Den
ausgedehnten Pfalzhof, in dem im 9. Jh. ein bronzenes Reiterstandbild
Theoderichs aufgestellt war, und die daran stehenden Gebäude nördl. der
ehem. Pfalzkirche zeichnet der Katschhof nach, den im Norden das >>
Rathaus anstelle der ehem. Königshalle begrenzt und an dessen Westseite
anstelle der modernen Gebäude ein Gang mit Torgebäude die Königshalle und
den Westbau der Kirche verband. Das dem Westbau urspr. vorgelagerte Atrium,
in dessen Mitte ein Brunnen stand, lässt sich in seinen Abmessungen noch im
Domhof erkennen. Der Kirche waren außerdem an der Nord- und Südseite zwei
sog. Annexbauten mit Zugängen in beiden Geschossen angegliedert. Die Gebäude
des wohl mit der Kirche begründeten Marienstifts sind noch in der Lage des
heute weitgehend rekonstruierten spätgotischen Kreuzgangs an der Nordseite
des Domhofs fassbar (ein Rekonstruktionsmodell der Pfalzanlage im >>
Museum Burg Frankenberg).
Die in Anlehnung an antike und byzantinische Kaiservillen und Palastanlagen
geplante Pfalz war seit E. 8. Jh. der bevorzugte Sitz Karls. Die Kirche mit
ihrer prachtvollen Ausstattung durch antike Marmorsäulen und weitere Spolien
sowie Bronzegüsse ist bereits in zeitgenössischen Texten ausführlich
beschrieben worden, vor allem in der um 830 von Karls Hofmann
Einhard verfassten panegyrischen Lebensbeschreibung. 814
wurde Karl in ihr an einem heute unbekannten Ort begraben. Seine Nachfolger
haben die Aachener Pfalz nicht weiter als ständigen Sitz genutzt.
Die Inthronisation Ottos I. 936 in Kirche und Mausoleum Karls des Großen
begründete die bis 1531 lebendige Tradition als Hauptkrönungsort der
deutschen Könige, der 1165 mit der
Heiligsprechung Karls des Großen zusätzliche Weihe erhielt. Durch den Besitz
berühmter Marienreliquien war hier außerdem ein wichtiges Pilgerzentrum der
europäischen Christenheit entstanden, Ziel der seit 1349 alle sieben Jahre
stattfindenden Aachener Heiltumsfahrt. Bis zur Gründung von >> St.
Foillan war die Pfalz- und Stiftskirche auch einzige Pfarrkirche der Stadt,
das alleinige Taufrecht blieb bis 1821 mit ihrer Taufkapelle verbunden.
1802–21 erstmals Bischofskirche, das urspr. Stifts- in ein Domkapitel
umgewandelt; seit 1930 erneut Bischofssitz. 1978 wurde der Dom in die
Welterbeliste der UNESCO aufgenommen.
Baugeschichte
In den Ruinen einer römischen Thermenanlage ein 765/66 erstmals erwähntes königliches Hofgut. Fundamente einer
zugehörigen Kirche (aus dem 5./6. Jh.?) 1910–14 im Ostteil des Oktogons
ergraben. Der Baubeginn der karolingischen Pfalz ist nicht bekannt; meist
auf den Bau bezogene Schriftquellen stehen entweder in keinem erkennbaren
Zusammenhang mit den Aachener Pfalzgebäuden oder erlauben keine Rückschlüsse
auf die Bauzeit; die Nachricht einer Weihe der Kirche durch Papst Leo III.
804/05 stammt frühestens aus dem 12. Jh. und ist mit Sicherheit legendär.
Einzig ein Brief Alkuins, ehem. Leiter der Aachener Hofschule, aus dem Jahr
798
erlaubt den Schluss, dass der Zentralbau weitgehend vollendet war. Eine seit
E. 9. Jh. überlieferte Bauinschrift nennt einen Meister Odo; dessen Funktion am Bau unbekannt. Zum urspr.
Gebäude gehören der Westbau und ehem. die im Osten wenig vorspringende
doppelgeschossige Rechteckapsis; gleichzeitig oder wenig später wohl auch
beide Annexbauten und das Atrium fertig gestellt. Der vollständige Ausbau
der Pfalzanlage dürfte sich bis in das
9. Jh. hingezogen haben.
Nach Stadtbrand 1146 der Tambour erhöht
und das Zeltdach des Oktogons erneuert, der Westbau wohl
um ein Glockengeschoss aufgestockt und durch eine Brücke mit dem Oktogon verbunden.
1224
nach erneutem Brand das Oktogon durch einen Kranz von Giebeln und ein hohes
Faltdach bekrönt.
Zur
gleichen Zeit Fertigstellung des vom Probst
Philipp von Schwaben
E. 12. Jh.
gestifteten Kreuzgangs im Winkel zwischen ehem. Atrium
und Verbindungsgang. Im 13. Jh. Ausbau
der Atriumsflügel mit Kapellen.
A. 14. Jh.
an der Kirche Einbau des großen Westfensters und
Erhöhung
des Westbaus, die doppelgeschossigen Kapellen auf den
seitlichen Treppentürmen M. 14. Jh.
1355 Urkunde über den Beschluss des Stiftskapitels, den Bau eines neuen
Chors zu beginnen, um Platz für Pilger zu schaffen; erste
Bauarbeiten wohl schon um 1353. In der
Folgezeit Abriss einer frühgotischen Kapelle und des karolingischen Chors
mit Teilen des östl. und der beiden angrenzenden Joche des Oktogonumgangs.
Mit den ersten Bauarbeiten ein Meister
Johannes in Zusammenhang gebracht, der 1338/39 und 1349/50 am
Bau des Rathauses tätig war; um 1400 mit Schließung der Fensterbögen ein
Meister Engelbert genannt. 1414 Weihe durch Bischof Heinrich von
Sidon.
Vor 1430
im Inneren der Skulpturenzyklus an den Chorpfeilern
vollendet. Im Westjoch der Chorhalle der Marienaltar
1450–55 überbaut von der Marienkapelle; im 18. Jh. abgebrochen.
An der Südseite des Zentralbaus um
1370 Bau der vom ungarischen König Ludwig von
Anjou für ungarische Pilger gestifteten Ungarnkapelle. Baueinheitlich mit
der Chorhalle die Matthiaskapelle im Winkel zum Zentralbau errichtet und
vor
1414 fertig gestellt. Im
2. V.
15. Jh. westl. daran anschließend die bereits
1362
erwähnte Annakapelle erneuert,
1449 der
Annenaltar geweiht. Auf der Nordseite anstelle einer 1215
genannten Mauritiuskapelle 1455–74
Bau der Karls- und Hubertuskapelle, wohl gestiftet vom Herzog von Jülich.
Nur wenig
später neben dem nordwestl. Treppenturm Neubau der seit
dem 13./14. Jh. belegten Nikolaus- und Michaelskapelle; die nördl. Bauteile
nicht ausgeführt;
1513
Weihe des Michaelsaltars.
1624 nach Blitzschlag der Westturm teilweise abgetragen. Nach Stadtbrand 1656
das Oktogondach als Faltkuppel und das Chordach 1664 erneuert. 1719–33 Barockisierung des Innenraums. Die
baufällige
Ungarnkapelle
unter Einbeziehung der alten Grundmauern
1748
von J.J. Couven erneuert und bereits
1755
abgebrochen;
1756–67
vollständiger Neubau nach Entwurf von J. Moretti. Im Zuge von Instandsetzungsarbeiten
1779 das originale Maßwerk der
Chorfenster,
1786
die Marienkapelle entfernt.
1794/95 auf Veranlassung Napoleons alle 38 antiken Säulen des Zentralbaus
ausgebaut und mit einigen Ausstattungsstücken nach Paris überführt. Nach
1815 bis auf acht Säulen zurückgebracht (diese z. T. im Louvre fest
verbaut), aber erst 1843 wieder eingesetzt. 1850–68 in der Chorhalle
neugotisches Maßwerk eingesetzt; Neuverglasung unter Leitung von P. Cornelius. Wohl im Zuge dieser Maßnahme
wurde das urspr. Ankersystem der Chorhalle schwer beschädigt. 1870
Entfernung der barocken Stuckaturen.
1878–81
Kuppelmosaik nach Kartons des belgischen Malers J.
B. Béthune;
1900–13
Mosaiken in Tambour und Umgängen nach Kartons, Marmorverkleidung von Wänden
und Pfeilern sowie die Fußböden nach Entwürfen von H. Schaper ausgeführt, auf Veranlassung Kaiser Wilhelms II.
und nach Wünschen des Aachener Karlsvereins. 1873
die Giebel des Oktogons, 1878–84
von H. Schneider der Turmaufsatz des
karolingischen
Westbaus in Anlehnung an die überlieferten spätgotischen
Aufbauten vollständig erneuert (niedriges Geschoss, darüber eine offene
Galerie an drei Seiten um einen hohen Glockenstuhl; Brücke zum Oktogon,
Kapellenaufbauten der Treppentürme). 1941 und
1943 Schäden durch Bombentreffer besonders in der Chorhalle und
Zerstörung der Fenster von Cornelius.
Nach dem Krieg Wiederherstellung durch J. Buchkremer, u. a. am Chor das Dach sowie Teile der
Gewölbe, Fenstermaßwerke und Maßwerkbrüstungen erneuert; 1949–51 Neuverglasung durch W. Benner und A. Wendling. In der Folgezeit Baumaßnahmen durch F. Kreusch und L. Hugot. Umfassende Sanierung seit 1994, u. a. durch ein neues Ankersystem die Stabilität der
Chorhalle gesichert.
Baubeschreibung
Im Grundriss bildet der karolingische Bau das Zentrum der Anlage. An den
Westbau mit urspr. offener Vorhalle und seitlichen, gerundeten Treppentürmen
schließt der Zentralbau mit achteckigem Mittelraum und sechzehneckigem
Umgang an, der durch Maueransätze an den Freipfeilern und korrespondierende
Wandpfeiler im Wechsel in rechteckige Raumabschnitte von der Breite der
Oktogonseiten und dreieckige Zwickelräume unterteilt ist. An annähernd drei
Seiten des Umgangs setzt im Osten der einschiffige gotische Chor aus zwei
querrechteckigen Jochen und zentralisierendem 9/14-Schluss an; seine
Abmessungen sind auf den Zentralbau bezogen, u. a. entspricht der
Durchmesser des Chorhaupts dem des Oktogons. Die Kapellen an der Nord- und
Südseite des Zentralbaus erscheinen als abgetrennte Nebenräume.
Außen tritt der den Grundriss dominierende Zentralbau hinter den Anbauten und
späteren Überbauungen zurück. „Die Angliederung an den zentral disponierten
Hauptbau (. . .) bewirkt eine eigenartig verworrene, höchst malerische
Gruppierung.“ (Dehio) Die Kapellenüberragt der achteckige Mittelraum mit dem
barocken Kuppeldach; auf dem urspr. Westbau der neugotische Turmaufsatz. Im
Osten ist der gotische Chor mit dem karolingischen Zentralbau eigentümlich
verzahnt; über annähernd drei Ostseiten des Erdgeschosses sind die Mauern
der östl. Emporenräume ausgebrochen und die Chormauern über den
schrägstehenden Emporenbögen aufgeführt, so dass ein dreiseitiger Schluss
entsteht, dessen westl. Abschluss die Ostseite des Oktogons bildet.
Technisch waren beide Bauteile urspr. auch durch Ankersysteme miteinander
verbunden, die sechs Eisenanker der Chorhalle durch ihre Bindung an die
eisernen Ringanker des Oktogons gesichert.
Zentralbau: Das Mauerwerk des
karolingischen
Baus aus Grauwacke, Travertin und zweitverwendetem römischem Material war
nach Befunden ziegelrot verputzt und ist deutlich vom Hausteinmauerwerk der
jüngeren Bauten zu unterscheiden. Der sechzehneckige Umgang mit
Rundbogenfenstern in beiden Geschossen und einem auf Konsolen liegenden,
profilierten Traufsims gedeckt von einem umlaufenden Pultdach. Das Oktogon
ebenfalls mit Rundbogenfenstern, Pilastern mit korinthischen Kapitellen und
einem umlaufenden verkröpften Sims, bekrönt von dem im
19. Jh.
erneuerten Tambourgeschoss mit Giebeln sowie der hohen
barocken Faltkuppel mit offener Laterne. – Die beiden urspr. Geschosse und
flankierende Treppentürmchen des Westbaus weitgehend schmucklos, die
Westfassade dominiert von einer hohen Rundbogennische; im urspr. offenen
Zugang der Vorhalle ein dreiseitig vortretender Portaleinbau von
1788
mit der karolingischen
Bronzetür (sog. Wolfstür >> Bronzetüren), darüber ein
kleines rechteckiges Fenster, das zum urspr. Bestand gehört, und ein breites
Rundbogenfenster mit dreiteiligem Maßwerk von
1305. Die neugotischen Aufbauten mit umlaufender Galerie
und anschließender Brücke zum Oktogon zur Schau der Heiltümer, flankiert von
den kapellenartigen Heiltumskammern auf den Treppentürmen, hohem
Glockengeschoss und von Ecktürmchen umstandenem Spitzhelm.
Der Innenraum blieb trotz mehrfacher Umgestaltungen in seiner Struktur
unverändert. Der hohe achteckige Mittelraum durch ein Klostergewölbe
geschlossen. Die beiden Umgangsgeschosse sind durch einen weit auskragenden
Sims voneinander abgesetzt und im Erdgeschoss durch Arkaden auf schweren
gewinkelten Pfeilern mit fein profilierten Kämpfersimsen zum Oktogon
geöffnet, im Obergeschoss durch hohe Rundbögen. In diese eingestellt
doppelte Säulenstellungen ohne tragende Funktion, die Säulenschäfte
überwiegend die urspr. antiken Spolien; Basen und Kapitelle beim
Wiedereinbau im 19. Jh. fast vollständig erneuert. Zusammen mit den davor
eingezogenen karolingischen >> Bronzegittern schranken sie die
Emporenräume gegen den Mittelraum ab. Die Umgangsräume im Erdgeschoss mit
drei- und vierteiligen Gratgewölben; die Emporenräume durch Zwischenwände
mit niedrigen Scheidbögen, genischte Außenwände und zum Mittelraum
ansteigende Tonnengewölbe deutlicher voneinander geschieden; die
Zwischenwände stützen zugleich den Tambour des Oktogons. Im Westen setzt
daran die Vorhalle bzw. im Obergeschoss die sog. Kaiserloge an, vor der auf
der Empore der >> Thron steht, im Osten die gotische Chorhalle
anstelle des urspr. karolingischen Rechteckchors.
Die üppige
Marmorverkleidung von Pfeilern und Wänden sowie die
reiche Mosaizierung aller Gewölbe und des Tambours von
E. 19./A. 20. Jh. verleihen dem Raum einen
prachtvoll-festlichen Charakter; die mittelalterliche Gestaltung nur
bruchstückhaft überliefert. Das
Kuppelmosaik von Béthune eine Darstellung der 24 Ältesten vor
dem Thron des apokalyptischen Gottes (Apok. 4), freie Nachschöpfung eines
durch Zeichnungen aus dem 17. Jh. belegten Mosaiks unbekannten Alters, das
seit M. 12. Jh. nachweisbar ist; es hatte wohl schon im 9. Jh. eine ältere
Wandmalerei gleichen Themas verdeckt, deren Reste im 19. Jh. aufgedeckt und
vernichtet wurden. Die übrigen
Mosaiken
von
Schaper nach Studien byzantinischer und
frühmittelalterlicher Vorlagen, im Tambour Apostel und die Deesis, flankiert
von den Erzengeln Gabriel und Michael sowie den knienden Figuren Karls des
Großen und Papst Leos III., in den Umgängen ornamentale und symbolische
Darstellungen, in der Kaiserloge die Madonna. Im oberen Umgang Reste des
karolingischen Fußbodenbelags aus spätantiken Stift- und
Plattenmosaiken.
Der karolingische Zentralbau ist einer der Schöpfungsbauten der nachantiken
Architektur. Bereits in Texten des 8./9. Jh. wurde er als einzigartig
beschrieben. Der architektonische Aufwand (u. a. am Außenbau die
exedrenförmige Nische der Westfassade und die Pilastergliederung des
Oktogons, im Inneren das hohe kuppelförmige Gewölbe und der zweigeschossige
Umgang) sowie die kostbare urspr. Ausstattung (antike Marmor- oder
Granitsäulen, Skulpturen, Türen und Gitter in Bronzeguss) verweisen auf
kaiserliche antike und byzantinische Bauten und belegen den ehrgeizigen
Anspruch des Bauherrn. Spolien wurden nach Einhards Bericht aus Ravenna und
Rom beschafft. Mit dem Ringankersystem des Oktogons folgte man auch
technisch byzantinischer Bauweise. Die fernen Vorbilder der Kirche Karls des
Großen mögen daher die Hagia Sophia und die Kirche Hagios Sergios und
Bakchos im Bezirk des kaiserlichen Palastes in Byzanz (heute Küçük Ayasofya
Camisi, Istanbul) gewesen sein. Wahrscheinlich aber orientierte man sich vor
allem an San Vitale in Ravenna, die als Hofkirche Kaiser Justinians galt.
Keiner der genannten Bauten wurde in Aachen getreu kopiert. Die
eigenständige Verwendung architektonischer Zitate diente wie die zahlreichen
Spolien der Darstellung der Herrschaft des fränkischen Königs. Schon vor
dessen Kaiserkrönung im Jahr 800 stellte das Gebäude wohl dessen Anspruch
auf einen den römischen und byzantinischen Herrschern ebenbürtigen Rang
dar.
Der Bau hat nur vereinzelt Nachfolge gefunden, im 9. Jh. heute verschwundene
Bauten, die die Erben Karls laut schriftlicher Überlieferung nach dem
Aachener Vorbild errichten ließen (Diedenhofen, Compiègne). Nachdem Kirche
und Mausoleum Karls des Großen im 10. Jh. als Krönungskirche der deutschen
Könige etabliert worden war, entstanden bis ins 11. Jh. wenige, meist
vereinfachte Nachbauten wie die Pfalzkapelle in Nimwegen (St. Nikolaus, um
1030) oder die ehem. Burgkapelle in Ottmarsheim im Elsass (1030/40), selten
Teilkopien (Münster in >> Essen), häufiger Zitate einzelner
Architekturelemente (St. Maria im Kapitol in >> Köln).
Von Anfang an war der Aachener Zentralbau auch Kirche des Marienstifts, die
Unterkirche Chor der Stiftsherren, die Umgangsräume durch Zwischenwände
abgeteilte Kapellen oder Nebenräume; im östl. Umgangsraum stand wie heute
wieder der Maria geweihte Hauptaltar, dahinter ehem. in der Apsis der
Petersaltar. Dem Hof blieb urspr. die Empore vorbehalten, in deren westl.
Raum der >> Thron ehem. dem Salvatoraltar im Osten gegenüberstand, an
dem 813 Karls Sohn Ludwig gekrönt wurde. Seit 936 fanden die Königskrönungen
am Marienaltar statt.
Mit der Heiligsprechung Karls, der Erhebung seiner Gebeine in den >>
Karlsschrein im Zentrum des Oktogons und der Ausstellung der Marienreliquien
im >> Marienschrein hinter dem Marienaltar erhielt die Unterkirche
zusätzlich die Funktion einer Pilgerkirche, die im 14. Jh. auf die Chorhalle
überging.
Chorhalle: Der Bau des gotischen Chors aus Sand- und
Blausteinmauerwerk ist durch schlanke Strebepfeiler mit Wasserschlägen
gegliedert, zwischen denen sich über niedrigem profiliertem Sockel und
aufgehender Mauer ansatzlos große spitzbogige Maßwerkfensteröffnen, deren
mit Dreipässen und Rosetten besetzte Spitzbögen bisan das Traufgesims
reichen; das fünf-, am Polygon zweiteilige
Maßwerk
neugotisch (das urspr. Maßwerk sechs- bzw. dreiteilig), das
sechsteilige der beiden
westl. Fenster von
1979/80. An den Pfeilern über dem dritten Wasserschlag
paarweise Sockel und mächtige Fialbaldachine für ein urspr. wohl nicht
ausgeführtes Skulpturenprogramm; die
Figuren u. a. des
himmlischen Hofstaats Mariens um 1873 von G. Götting. Fialaufsätze der Pfeiler und
Traufbrüstung im 19. Jh. und nach dem II. WK erneuert, das abgewalmte
barocke Dach und der 1914 aufgesetzte Firstkamm aus Kupferblech 1994–97
saniert.
Den Innenraum dominieren die hohen Fensteröffnungen. Sie
setzen auf der Sohlbank der Sockelmauer an und nehmen die gesamte Breite
zwischen kräftigen Bündelpfeilern ein. Im Polygon steigen die alten Dienste
vom Boden, in den Jochen alle Dienste von der Sohlbank auf und werden
absatzlos in Gurtbögen und Gewölberippen fortgeführt. Unter dem Gewölbe
Querverstrebungen mit goldfarbenen Kugeln an Verbindungsstellen, Teile des
gotischen Ankersystems, durch das die filigrane Architektur urspr. gesichert
war. Die Gewölbe geschlossen durch acht vergoldete
Schlusssteine mit den Darstellungen eines Bischofs, eines
Papstes (Leo III.), Karls des Großen mit einem Modell des karolingischen
Baus, Marias, des auferstandenden Christus sowie Engeln. An den Pfeilern auf
von musizierenden Engeln getragenen Konsolen 14 etwa lebensgroße
Standfiguren aus Sandstein unter hohen, von Fialen
bekrönten Baldachinen, 1430 aufgestellt, die farbige Fassung
von 1849–51, ein Apostelzyklus, der im
Chorscheitel um die Gottesmutter als Himmelskönigin und Karl den Großen mit
einem Modell der Chorhalle erweitert wurde. Stilistisch stehen die Figuren
in Nachfolge der nordfranzösisch-belgischen Skulptur um 1400. Wohl im
Zusammenhang mit den nachträglich versetzten Konsolen wurde die Sockelmauer
noch während des Baus zweimal erhöht; die zunächst aufgesetzte Maßwerkblende
ist unterhalb der Figur Karls freigelegt. Auf den in der Folge stark
vergrößerten Wandflächen Reste von
Wandmalereien aus dem
15.–17. Jh. An den Polygonwänden fragmentarisch
Teppichmalerei und ein Schriftband, um 1430.
– Aus der gleichen Zeit an der Westarkade zum Zentralbau Reste einer
Verkündigungsszene, die ehem. als Reliefs eingesetzten Hauptfiguren, Engel
und Maria, fielen wohl dem Einbau der Marienkapelle M. 15. Jh. zum Opfer. –
Reste eines umlaufenden
Malereizyklus, 1486 dat.
und von Kaiser Friedrich III. wohl anlässlich der Krönung seines Sohnes
Maximilian gestiftet; an den Längswänden urspr. jeweils sechs Szenen eines
Marienzyklus (an der Südwand nur Reste der Marienkrönung), im Polygon von
einer Folge hl. Stifter Kunigunde und Heinrich II. sowie Helena und Karl der
Große an der Nordseite erhalten, ferner in urspr. vier Wandfeldern das
Aachener Stiftswappen; im Zuge einer Erneuerung 1622 vor allem die Gemälde
im Polygon erheblich übermalt. Weitere
Malereien
(Kreuzigungsgruppe, Christus wandelt auf dem Meer, Christophorus)
wohl aus
derselben Zeit sowie von E. 17. Jh. –
Unterhalb der Malereien an den Längswänden
Ritzzeichnungen,
um 1400, größtenteils vom Chorgestühl verdeckt; in mehreren
Schichten übereinander Entwürfe, Ausführungszeichnungen für Steinmetze oder
Vorlagen für Schablonen, insbesondere für obere Teile der Chorhalle
(Fensterbögen, Fialen) oder das Blendmaßwerk in der >>
Matthiaskapelle. – An der westl. Schlusswand ein sechsteiliges Blendfenster,
letzter Rest des originalen Maßwerks. – Die
Glasmalereien
1949–51, die Ornamentfenster der Chorjoche von Wendling, das heilsgeschichtliche Bildprogramm
im Polygon von Benner. Der Raum wird
durch die in der tiefen Farbigkeit des 13. Jh. gehaltenen Fenster stark
verdunkelt, wohl im Unterschied zu den um 1400 üblichen lichten Farben der
verlorenen urspr. Fenster.
Der Typus des Chorbaus, einer einschiffigen, in schlanke Pfeiler und
Glasflächen aufgelösten Halle, der sog. Capella vitrea, war im Obergeschoss
der Ste. Chapelle in Paris vorgeprägt, die Ludwig der Heilige 1241–48 hatte
errichten lassen, ein monumentaler Schrein, der mit der Dornenkrone Christi
eine der wichtigsten Reliquien der Christenheit barg. Entsprechend der
Interpretation der Capella vitrea als Abbild des himmlischen Jerusalem nach
Apok. 21,11 ff. erscheinen in Paris und in Aachen die Apostel als
Grundsteine am Ansatz der Pfeiler des Baus, in Aachen zusätzlich die
Gottesmutter als Königin der Apostel und Karl, der ihr seine Kirche
darbringt und sich in die Reihe der Nachfolger Christi einreiht (vgl. den
Apostelzyklus im >> Kölner Domchor). Abweichend vom Pariser Vorbild
der in der zeitgenössischen Architektur geläufige zentralisierende
Polygonschluss (vgl. den nachfolgenden Chor von St. Andreas in >>
Köln); die Doppelgeschossigkeit der französischen Palastkapelle in Aachen
nur in der Sakristei beibehalten (>> Matthiaskapelle). Stilistisch
gehört der Aachener Chor zum Umkreis der Bauhütte des >> Kölner Doms;
verwandte Einzelformen besonders am Südseitenschiff und Untergeschoss des
Südturms.
Der wiederholt vermutete Einfluss Karls IV. auf den Bau
der Chorhalle ist ebensowenig nachzuweisen wie seine Eigenschaft als Stifter
zahlreicher Stücke im >> Domschatz. Seine Verehrung für Karl den
Großen äußerte sich bereits in seiner Krönung 1349 am Vorabend des zweiten
Festtags des hl. Kaisers. Als monumentales Zeugnis für den Karlskult scheint
der Chorbau im Zusammenhang zu stehen mit der Herrscherideologie
Karls IV.
Traditionell aber gehörten Finanzierung und Bau zu den Aufgaben des
Stiftskapitells, das den Bau laut Urkunde von 1355 auch beschlossen und
begonnen hatte. Nach Fertigstellung verlegte es seinen Gottesdienstraum in
den Chor, der jener Urkunde zufolge der Aufnahme der Pilger und damit der
Verehrung der Heiligtümer dienen sollte. Im Polygon wurde der den Aposteln,
dem hl. Adalbert sowie den hl. Kaisern Karl und
Heinrich II. geweihte Choraltar aufgestellt,
dahinter hoch erhoben im Zentrum des Chorhauptes der >> Karlsschrein,
wo er seit 1988 wieder steht; der urspr. um Altar und Schrein abgesenkte
Fußboden lässt eine Art Umgang für Pilger vermuten (>> Köln, St.
Ursula). Im westl. Joch etwa anstelle des niedergelegten karolingischen
Chors um 1450 die Marienkapelle errichtet, ein baldachinartiger Einbau auf
acht freistehenden Pfeilern mit offenen Bögen und 5/8-Schluss, der den
karolingischen Marien- und späteren Krönungsaltar sowie den dahinter
querstehenden >> Marienschrein umschloss; Kapelle und Altar 1786
abgebrochen; Altar und Schrein heute wieder an der urspr. Stelle.
Die mit dem Chorneubau entstandene charakteristische Baugruppe aus Westturm,
Kuppelbau und Chorhalle fand im 18. Jh. in benachbarten Neubauten wie den
Johanneskirchen in Lüttich und >> Aachen-Burtscheid eine späte
Wiederholung.
Kapellen: Die Matthiaskapelle, an der Südseite zwischen
Zentralbau und Chor, eine doppelgeschossige Kapelle von einem rechteckigen
Joch und 5/8-Schluss. Der Außenbau durch Strebepfeiler, verkröpfte Simse und
dreibahnige Maßwerkfenster gegliedert; auf dem Hauptgesims die Pfeiler
bekrönende Fialen und Maßwerkbrüstung aus dem 19. Jh. An den Pfeilern auf
spätgotischen Sockeln mit kauernden Figuren ein neugotischer
Skulpturenzyklus, Apostel und Evangelisten, 1873 von Götting anstelle bildlich überlieferter mittelalterlicher
Skulpturen. Innen die Gestaltung der Sakristei im Untergeschoss auch
stilistisch vom schlichten ehem. Archiv im Obergeschoss unterschieden. Im
unteren Raum Bündelpfeiler mit Kapitellen, im Schlussstein des Polygons die
Marienkrönung; Wandgliederung mit reichem Blendmaßwerk, in dessen Zwickeln
vierzehn Prophetenfiguren. Über dem Durchgang in die Chorhalle ein kleines
Relief mit der Verkündigungsszene. Der Zyklus kennzeichnet den Sakristeiraum
als Ort der Vorbereitung und weist heilsgeschichtlich voraus auf das
Skulpturenprogramm im Chor.
Die Annakapelle schließt westl. an die Matthiaskapelle an,
ein ebenfalls zweigeschossiger Bau auf unregelmäßig sechseckigem Grundriss.
Im Äußeren unterscheidet sie sich deutlich vom früheren benachbarten Bau
durch eine reiche Blendengliederung der Pfeiler und Wandflächen sowie durch
große vierteilige Maßwerkfenster
(1865
erneuert) im Obergeschoss, die z. T. von steilen Kielbögen überfangen
werden; stilistisch eng verwandt das Portal zum Kreuzgang (>> ehem.
Stiftsgebäude). An den Pfeilern auf spätgotischen Sockeln und zugehörigen
Baldachinen ein neugotischer
Skulpturenzyklus,
Hl.
Sippe und
Engel, 1870 von Götting. Das urspr. als Eingangsvorhalle an
drei Seiten offene Untergeschoss seit 1764 Sakristei, die neugotischen
Fenster von 1865; innen wie auch im reich gegliederten Kapellenraum darüber
ein sechsteiliges Rippengewölbe. Über der Tür der ehem. Eingangslaube zum
Zentralbau eine
Madonnenfigur, 2. Dr. 14. Jh.
aus Lüttich. Die Durchgänge in beiden Geschossen urspr. zum karolingischen
Annexbau.
Die Ungarnkapelle grenzt an den Westbau an der
Südwestseite des Umgangs, ein spätbarocker, mit Blaustein verblendeter
Backsteinbau auf annähernd quadratischem Grundriss mit abgeschrägten Ecken,
gegliedert durch hohen Sockel, gekuppelte ionische Kolossalpilaster,
auskragendes Hauptgesims mit niedriger Attika und ungarischem Wappen sowie
das achtseitige Haubendach mit einem glockenförmigen Abschluss. Morettis Bau steht damit stilistisch Entwürfen
Couvens nahe (vgl. St. Johann Bapt.
in >> Aachen-Burtscheid). Der runde Innenraum mit zweigeschossigem
Wandaufriss und korinthischer Pilastergliederung; über einem schweren,
profilierten Sims erscheint der obere Teil als Tambour der flachen
Kuppeldecke. In Wandnischen
Stuckfiguren des hl. Adalbert sowie der
hl. Könige Ungarns, Stefan, Emerich und Ladislaus,
1769 von Petondi. Die
übrigen
Stuckaturen (Vorhänge, Wappen, Embleme und Trophäen)
1765/66 von J. Pozzi.
Aus Marmor die Eingangswand zum Sechzehneck, 1881 eingebaut.
Die Karls- und Hubertuskapelle an der Nordostseite des
Umgangs gegenüber der Annakapelle ein spätgotischer Bau von zwei Geschossen
auf unregelmäßig siebenseitigem Grundriss, gegliedert durch gestufte
Strebepfeiler und große, im niedrigen Untergeschoss flachbogige
Maßwerkfenster; im Obergeschoss an der Nordseite ein polygonal vorkragendes
Chörlein. Maßwerk, Fialen und Traufbrüstung im
19./20. Jh.
weitgehend erneuert. An der Ostseite ein korbbogiges Portal in
übergreifendem Kielbogen, die
Figuren darüber um
1870 von Götting. Im Inneren
teilt eine von reichem Maßwerk durchbrochene Wand das Untergeschoss in einen
Gang, der zum Zentralbau führt, und den Raum der Hubertuskapelle; das
unregelmäßige siebenteilige Rippengewölbe mit hängendem Schlussstein (1896
erneuert). Die Karlskapelle im Obergeschoss ein hoher, lichter Raum mit
Sterngewölbe, an den Brüstungswänden eine umlaufende Sitzbank und
Maßwerkblenden; das Chörlein an der Nordseite mit fünfteiligem
Rippengewölbe, dessen Schlussstein das Stiftswappen trägt. Neugotische
Gewölbemalerei
um 1870 von A. Kleinertz.
Die Zugänge vom Zentralbau in beiden Geschossen mit karolingischen >>
Bronzetüren, die urspr. in den nördl. Annexbau führten.
Die Nikolaus– und Michaelskapelle an der Nordwestseite des
Umgangs grenzt im Westen an die Stiftsgebäude an. Eine spätgotische
Emporenkapelle auf unregelmäßigem Grundriss mit asymmetrisch angesetzter
Chorapsis; im Untergeschoss urspr. der Nikolausaltar, auf der Empore der
Michaelsaltar. Der fast schmucklose Außenbau regelmäßig durch Strebepfeiler
und Maßwerkfenster gegliedert; an der Nordseite durch Maueransätze zu
erkennen, dass der Bau unvollendet blieb. Ausgeführt eine zweischiffige
Halle mit von Pfeilern getragener Empore an drei Seiten und
Kreuzrippengewölben, in den Apsiden beider Geschosse unterschiedlich
gestaltete Sternnetzgewölbe, die neugotische
Rankenmalerei
1872 von F. Wirtz. Das große
Nordfenster schließt die unvollendete Nordseite. Das
Maßwerk
aller Fenster um 1870, die
Verglasung
um 1950/60 nach Entwürfen von W. Geyer, E. Jansen-Winkeln und F. Kreusch. Die romanischen Durchgänge zum Kreuzgang, zum
Zentralbau und in den Treppenturm von einem ebenfalls zweigeschossigen
Vorgängerbau; auf dem Tympanon zum Treppenturm die schwach erkennbare
Malerei einer spätgotischen Verkündigung. Zahlreiche Grabplatten im Fußboden
zeugen von der urspr. Funktion der Kapelle als Grablege der
Stiftsgeistlichen.
Ausstattung
Hauptaltar, aus karolingischen Marmorplatten und
der Mensa wohl des ehem. Allerheiligenaltars 1951 zusammengesetzt und in der Mitte der
Chorhalle
aufgestellt, seit 1972 im östl. Joch des Oktogonumgangs an der Stelle, die
der Altar des merowingischen Vorgängerbaus und der karolingische Hauptaltar
eingenommen hatte. Von diesem stammt das Antependium, die
Goldene
Altartafel, sog. Pala d’Oro, 17 Reliefs aus getriebenem
Goldblech, um 1000/20 wohl nach einer Stiftung Ottos
III. entstanden. Holzrahmen und Anordnung der Reliefs von
1951, in drei Reihen zwölf Szenen
der Passion Jesu, im Zentrum thront der jugendliche Christus als
Weltenrichter mit Kreuzesstab und geöffnetem Buch in einer Mandorla,
flankiert von der fürbittenden Maria und dem gegen den Drachen kämpfenden
Erzengel Michael, umgeben von den Symbolen der Evangelisten.
Goldener Ambo, Eichenholzkern auf kleeblattförmigem
Grundriss, bedeckt mit Goldblech, Bronzearbeiten, Edelsteinen und
Elfenbeinreliefs, wohl zwischen 1002 und 1014 entstanden und
laut Inschrift von König Heinrich II. gestiftet. Bei
Restaurierungen 1815–17 und 1926–39 Teile erneuert oder ergänzt. Die
ausschwingende Brüstung und die schmalen Seitenteile in Kassetten
aufgeteilt, die Rahmenleisten bis auf eine erneuert. In der Mitte neun
Felder; darin in Kreuzform angeordnet fünf wie Edelsteine gefasste Gefäße,
je eine antike und neuzeitliche Achatschale, eine fatimidische
Bergkristalltasse und der zugehörige Untersatz, jeweils umgeben von vier
Schachfiguren aus Achat und Chalzedon (10. Jh.?, z. T. erneuert), im Zentrum
eine 1937 eingefügte römische Glasschale; in den Ecken vier getriebene und
vergoldete Bronzereliefs mit den vier Evangelisten, original nur Matthäus
(oben links), die übrigen 20. Jh. Auf den Seitenteilen jeweils drei große
Elfenbeinreliefs, wohl ägyptisch, 6. Jh. Triumphdarstellung eines jagenden
Herrschers zu Pferd, Nereiden, Bakchos sowie stehender Krieger, Isis (?),
Bakchos. Der Ambo spielte in der Krönungsliturgie bis 1531 eine wichtige
Rolle. Urspr. wohl auf massivem Unterbau in der Mitte der Umgangsarkade vor
Hauptaltar und karolingischem Chor aufgestellt,
1414 nach
Fertigstellung der Chorhalle an deren Südwand auf einer
Konsole und Holzsockel über der Sakristeitür versetzt. Die Treppe 1782
erneuert. Das
Lesepult auf der Brüstung 1937. –
Adlerpult, Bronzeguss, Dinant, M. 15. Jh.
(>> Erkelenz, St. Lambertus; >> Düsseldorf, St. Maximilian). Auf
dreiseitigem Sockel eine feingliedrige Maßwerkarchitektur, bekrönt von einer
Kugel mit dem Adler; im 19. Jh. stark
erneuert.
Thron im westl. Emporenjoch, parischer Marmor, Kalkstein,
Holz, Aachen, seit der Krönung Ottos I. 936 an dieser
Stelle nachgewiesen; nach jüngsten Untersuchungen möglicherweise schon
E. 8. Jh. aufgestellt. Sechs Stufen in Analogie zum Thron
Salomonis führen hinauf zu einer von vier urspr. freistehenden Steinsäulen
getragenen, profilierten Kalksteinplatte mit dem Thronsitz aus weißen
Marmorplatten, die von Bronzeklammern zusammengehalten werden. Die
A. 19. Jh. abgerundete Lehne urspr. mit trapezförmigem Abschluss. Die
mutmaßliche Herkunft der antiken Platten von den heiligen Stätten in
Jerusalem verlieh ihnen Reliquiencharakter. Der Kastensitz aus Holz erneuert
(originale Bretter im Rheinischen Landesmuseum >> Bonn); ehem. war
wohl die Stephansbursa darin verwahrt (heute im Kunsthistorischen Museum
Wien). An der Rückseite des Throns seit 1305 der Nicasius-Altar. –
Chorgestühl aus Eichenholz, 1782. An beiden
Seiten der Chorhalle ein zweireihiges Gestühl.
Sog.
Barbarossa-Leuchter, achtseitiger Radleuchter aus
graviertem und feuervergoldetem Kupferblech auf einem Eisenreif montiert und
mit Tragegestänge an einer schmiedeeisernen Kette in der Kuppel des Oktogons
aufgehängt, Aachen, um 1170. Laut umlaufender Inschrift
gestiftet von Kaiser Friedrich I. und
Kaiserin Beatrix als Abbild des himmlischen
Jerusalems (nach Apok. 21) und durch Form und Abmessungen auf die
Architektur des Zentralbaus bezogen. Acht bogenförmige, von 48 Kerzen
besetzte Seiten bilden die Stadtmauer mit 16 Toren bzw. Türmen ab. Deren
Bodenplatten graviert mit acht neutestamentlichen Szenen und acht
Seligpreisungen (Matth. 5, 3–10), letzter Rest eines urspr. reichen
Bildprogramms, zu dem zahlreiche, um 1800 eingeschmolzene Silberreliefs der
Turmwände gehörten. Über dem Leuchter, unter dem Kugelknauf der Kette, eine
weitere gravierte Platte mit dem Bild des hl. Michael. Stilistisch stehen
die Gravuren in maasländischer Goldschmiedetradition und sind wohl in
unmittelbarer Nachfolge des Heribertschreins von Neu-St. Heribert in
>> Köln-Deutz, in derselben Kölner Werkstatt wie die Schreine des
hl. Maurinus (St. Pantaleon in >> Köln) und
des hl. Aetherius (St. Ursula in >> Köln)
entstanden.
Strahlenkranzmadonna aus Eichenholz, 1524 von
J. van Steffeswert; ehem. wohl eine
Rosenkranzmadonna, 1685 mit Wolken- und
Strahlenkranz neu montiert und ergänzt, die seither mehrfach veränderte
Fassung im Zuge der Restaurierung 1996–98 mit allen Spuren gesichert und
vereinheitlicht; am urspr. Ort in der Chorhalle aufgehängt. An der
Vorderseite die von Engeln umspielte Madonna auf einer barocken, von einer
Schlange umwundenen Mondsichel, gleichermaßen apokalyptisches Weib (Apok.
12), Himmelskönigin (die Krone fehlt) und neue Eva, das Christuskind mit dem
Apfel als neuer Adam; an der Rückseite der Wappenengel die Signatur
(Jan Bieldesnider), Meisterzeichen
und Jahreszahl. Das Kind der rückwärtigen, ehem. dem Choraltar zugewandten
Madonna mit Segensgestus und Traube.
Karlsschrein, über dem Eichenholzkern (um 1182
d) in Form einer einschiffigen Kirche vergoldetes Silberblech, teilweise
gegossen und graviert, Grubenschmelzplatten und Stanzstreifen, teilweise
besetzt mit Edelsteinen, 1215 durch Friedrich II. am
Tag seiner Königskrönung wohl symbolisch verschlossen, aber noch nicht
vollendet. Zuletzt 1982–88 rest.
Stilistisch steht das prachtvolle Reliquiengehäuse in der Tradition
rheinisch-maasländischer Schreine und zwischen dem des hl. Servatius in
Maastricht (Sint Servaes, Schatzkammer) und dem >> Marienschrein. An
den Stirnseiten unter dem segnenden Christus thronend Karl der
Große mit einem Modell der Pfalzkirche, flankiert von
Papst Leo III. und Erzbischof Turpin von
Reims, unter den drei christlichen Tugenden die Gottesmutter
zwischen den Erzengeln Michael und Gabriel. An den Längsseiten,
ikonographisch einzigartig, unter Rundbögen 16 Amtsnachfolger Karls; auf den
Dachflächen je vier getriebene Flachreliefs mit Szenen der im Mittelalter
Turpin zugeschriebenen Karlslegende. Auf dem First gegossene Palmettenkämme
mit fünf emaillierten Knäufen. Urspr. im Zentrum des Oktogons unter dem
>> Barbarossaleuchter aufgestellt und 1414 in die
Chorhalle
überführt.
Marienschrein, über dem Eichenholzkern (1212 d) in Form einer
einschiffigen Kirche mit kurzem Querschiff vergoldetes Silberblech und
teilweise emailliertes Kupfer, besetzt mit Edelsteinen und Gemmen, um
1220/38 geschaffen für die vier sog. Großen Heiltümer, die 1239
darin niedergelegt wurden, Windeln und Lendentuch Christi, Gewand Mariens
und Grabtuch des Johannes Bapt. Der reiche Aufbau der Schreinarchitektur
steht in der Tradition spätromanischer rheinisch-maasländischer Schreine,
die kreuzförmige Grundform eine grundlegende Neuerung. Giebel und Dachfirste
mit gegossenen Palmetten- bzw. Volutenkämmen besetzt und von sieben Knäufen
bekrönt. In Figurennischen an den vier Giebelfronten und den Langseiten
silbergetriebene, annähernd vollrund wirkende Sitzfiguren. Im Zentrum der
Hauptschauseite die gekrönte Muttergottes, an der Rückseite Karl
der Große mit Bügelkrone und Zepter (der Reichsapfel im
19. Jh. entfernt), jeweils flankiert von sechs Aposteln; an den Stirnseiten
der gekrönte Christus mit der Weltkugel (Majestas domini) und
Papst Leo III. mit kegelförmiger Tiara, Kreuzesstab
und Pallium. Auf den Dachflächen jeweils zehn silbergetriebene Reliefs mit
neutestamentlichen Szenen (Verkündigung bis Grablegung Christi). Stilistisch
lassen sich zwei Gruppen unterscheiden, die Figuren Karls und Leos,
verwandter Apostel sowie einige Dachreliefs stehen letzten Arbeiten am
Karlsschrein nahe; die bewegteren Figuren Christi und der Madonna sowie
Apostel und Reliefs gelten als Werke von jüngerer Hand. Ikonographisch sind
Heils- und Reichsgeschichte sowie die Geschichte der Aachener Marienkirche
miteinander verbunden.
Pinienzapfen, Bronzeguss ungewisser Entstehungszeit,
1./2. oder 9. Jh.; nach jüngster These
E. 10. Jh. mit dem Fuß, dessen Inschriften und den
fragmentarisch erhaltenen Figuren der vier Paradiesflüsse entstanden im
Auftrag eines nur hier bezeugten Abtes Udalrich. Urspr.
ein Brunnenaufsatz mit Wasserauslässen an den Schuppen des Zapfens, der
vermutlich den Brunnen im Atrium bekrönte, vergleichbar dem römischen
Vorbild im Vorhof von St. Peter (heute im Cortile della Pigna). – Sog.
Wölfin, tatsächlich eine sitzende Bärin, spätrömischer
Bronzeguss, wohl 2. H. 2. Jh., das linke Vorderbein im 19. Jh.
ergänzt; erst seit dem späten Mittelalter nachweisbar und in Analogie zur
kapitolinischen Wölfin in Rom interpretiert; die Aufstellung im Atrium nicht
gesichert. –
Bronzetüren, sog. Wolfstür und drei kleinere
Türflügelpaare, Bronzeguss, Aachen, E. 8. Jh.; Reste der
Gussformen, Schlacken und Scherben 1911 im Katschhof gefunden. Der Guss der
Türflügel in einem Stück im Gegensatz zur Einteilung in Kassetten,
schmucklose Felder mit feinteilig ornamentierten Rahmen, deren Profile,
Eierstab-, Perlstab- und Blattzungenfriese antike Vorlagen variieren. Nur
die Löwenköpfe gesondert gegossen und mit Nieten befestigt. Heute mit
grau-brauner Patina, urspr. goldfarben. Die Wolfstür (nach der in nächster
Nähe aufgestellten >> sog. Wölfin) im spätbarocken Portaleinbau des
Westbaus war urspr. im Eingang von der Vorhalle zum Umgang des Zentralbaus
eingesetzt. Die kleinen Türen zur >> Hubertus-, >> Karls- und
>> Annakapelle führten ehem. von beiden Geschossen des Umgangs zu den
Annexbauten der Pfalzkirche, heute z. T. an urspr. Stelle, das vierte
Flügelpaar verloren. –
Bronzegitter, Hohl- und Massivguss
gleicher Legierung wie die Türflügel, Aachen, E. 8. Jh. Das
Gitter vor dem Thron in der westl. Emporenarkade heute fünfteilig mit einer
Öffnung in der Mitte, in der östl. Arkade dreiteilig, urspr. wohl umgekehrt;
alle übrigen vierteilig, auch ihre Anordnung verändert. Wechselnde
Gitterformen und architektonische Gliederung; Pilaster und Gebälk mit
Akanthusranken bzw. durchbrochenes Rahmenwerk mit Blatt- und Volutenstauden
lassen in unterschiedlicher Weise die Übernahme antiker Vorlagen
erkennen.
Domschatz
Die Bedeutung des Doms als Krönungskirche der deutschen Könige begründet auch
den außergewöhnlichen Rang des Schatzes. Zahlreiche Stücke wurden für die
Krönungszeremonien geschaffen oder stammen von königlichen Stiftern; u. a.
1367
die Stiftungen des ungarischen Königs Ludwig von Anjou
für die Ungarische Kapelle (darunter zahlreiche
Reliquiare
sowie zwei bzw.
drei
ikonenartige Tafeln mit der französischen Lilie sowie den
Wappen Ungarns und Polens, Marienkrönung und Muttergottes, die Malerei im
18. Jh. erneuert). In späterer Zeit kam wertvolles
liturgisches
Gerät hinzu (u. a. durch das Domkapitel; zahlreichen Objekte wie
jene des Goldschmieds Hans von Reutlingen
können keiner Herrscherstiftung zugewiesen werden). Mehrfach wurde der
Schatz ausgelagert, so während des Dreißigjährigen Krieges, 1794–1802
während der Besetzung des Rheinlandes durch französische Revolutionstruppen
und während des I. und II. WK, und blieb auf diese Weise fast vollständig
erhalten; 1798 die Reichskleinodien nach Wien überführt (Krönungsevangeliar,
Stephansbursa und Säbel Karls des Großen, heute in der Schatzkammer des
Kunsthistorischen Museums), 1804 Reliquien Karls des Großen an
Kaiserin Josephine geschenkt (der sog. Talisman und
das staufische Armreliquiar, heute im Louvre, Paris).
Lotharkreuz, Vortragekreuz, Gold- und vergoldetes Silberblech
über erneuertem Holzkern, um 980, wohl aus derselben Kölner
Werkstatt wie das sog. ältere Mathildenkreuz im Schatz des >> Essener
Doms. Die Vorderseite reich besetzt mit Filigranen, Perlen und Steinen, nach
Restaurierungen im 19. und 20. Jh. die urspr. Farbigkeit verfälscht. Vom
originalen Bestand im Zentrum der antike Sardonyx-Kameo mit Bildnis des
lorbeerbekränzten Kaisers Augustus; am Kreuzstamm ein in Bergkristall
geschnittener Siegelstempel des Karolingers König Lothar II.
(855–69), der dem Kreuz den Namen gab. Nach überzeugender
Deutung wird der Stempel als das an dieser Stelle übliche Stifterbildnis auf
den der karolingischen Dynastie entstammenden König Lothar von
Frankreich († 986) bezogen und die gängige Annahme einer
Stiftung durch Otto III. um das Jahr 1000
zurückgewiesen. Auf der gravierten Rückseite eine der frühesten
Darstellungen des toten Christus am Kreuz, zu Seiten Sonne und Mond, darüber
die Hand Gottes mit Siegeslorbeer und Taube; am Kreuzesfuß die Schlange. Der
Sockel Silber vergoldet, Aachen oder Köln, 3. V.
14. Jh.
Elfenbeinsitula, achtseitiger, aus einem Stoßzahn
geschnitzter Weihwassereimer, dessen Außenseiten in drei reliefierte
Bildzonen unterteilt sind, lothringisch oder mittelrheinisch, um 1000
oder 1. Dr. 11. Jh. In der unteren Zone acht von Kriegern
bewachte Stadttore. In der zweiten Zone zwischen von Vorhängen umwundenen
Säulen drei thronende Figuren in einem Innenraum, der Apostel Petrus
zwischen einem Papst (mit Pallium) und einem Kaiser (mit Zepter, Reichsapfel
und Bügelkrone); ferner stehend zwei Erzbischöfe (mit Pallium), zwei
Bischöfe und ein Abt. Abschluss durch einen schmalen Jagdfries, unterbrochen
von zwei großen maskenhaften Köpfen, an denen der urspr. Henkel befestigt
war; der heutige von 1863. Zwischen den Bildzonen mit Edelsteinen besetzte
vergoldete Kupferbänder aus dem 16.–18. Jh.
–
Büstenaquamanile, Bronzehohlguss vergoldet, die Augen in
Silber eingelegt, Aachen, wohl um 1215. Die Büste diente als
Gießgefäß zum Waschen der Hände während der hl. Messe. Typologisch steht sie
in Nachfolge antiker Herrscherbüsten und wird stilistisch dem Umkreis der
späten Figuren des Karlsschreins zugeordnet.
Anastasiusreliquiar, urspr. Räuchergefäß in Form eines
würfelförmigen Zentralbaus mit Faltkuppel und Apsis, Silber getrieben, z. T.
vergoldet und nielliert, um 1000 in Antiochien wohl vom
Prokonsul Eustateios gestiftet. Nachträglich darin das Haupt des persischen
Märtyrers Anastasius gebettet; in der Folge bedeutsam
für die Entwicklung der romanischen Kuppelreliquiare. –
Muttergottes, Silber getrieben, teilvergoldet, Aachen,
um 1280. Die monumental wirkende Standmadonna von ca. 80 cm
Höhe steht in der Tradition maasländischer Goldschmiedekunst, stilistisch in
Nachfolge französischer bzw. Trierer Großskulptur der M. 13. Jh. Im Rücken
ein Reliquiendepositorium. –
Simeonsreliquiar, Silber
vergoldet mit Edelsteinen, Emails und Steinschnitten, Aachen, um
1330/40. Sog. sprechendes Reliquiar mit szenischer Darstellung
der Darbringung Christi im Tempel. Auf einer Sockelplatte mit Klauenfüßen
die Figuren Marias mit den Tauben und Simeons mit dem Christuskind an den
Schmalseiten des Altars. Als Altartisch dient ein wohl älteres Kästchen, das
eine Armreliquie des Hohepriesters enthält. Die vasenförmige Phiole aus
Achat auf dem Tisch wohl byzantinischen Ursprungs. –
Scheibenreliquiar, Silber vergoldet mit Perlen,
Edelsteinen und Emails, um 1340/50. Auf einer Bodenplatte mit
Klauenfüßen das auf einem Sockel stehende Scheibenkreuz. An der Vorderseite
in fünf Bergkristallkapseln Passionsreliquien, im Zentrum eine seit dem
9. Jh. bezeugte Schwammreliquie; in den Kreuzeszwickeln transluzide Emails
mit Passionsszenen, die wenig älteren Pariser Arbeiten nahe stehen. An der
schlichteren Rückseite die getriebene Darstellung des Lebensbaums mit dem
Lamm Gottes in der Mitte sowie den Evangelistensymbolen. Am Sockel
Darstellung der Justitia, eine wiederverwendete rheinisch-maasländische
Grubenschmelzplatte des 12. Jh. Die seitlich stehenden Engel urspr.
Gießgefäße, 2. H. 14. Jh., nachträglich
hinzugefügt. –
Büstenreliquiar
Karls des Großen, Silber getrieben, teilvergoldet sowie
mit Edelsteinen, Gemmen und Adlerappliken aus Silber reich besetzt,
nach 1349 in einer Aachener Werkstatt vermutlich infolge
einer Schenkung Karls IV. entstanden (sog.
Krönungsgeschenk). Reliquie ist die hier verwahrte Schädelkalotte Karls des
Großen. Das idealisierte Bildnis des Kaisers in stilistischer Nachfolge
französischer Herrscherdarstellungen der 2. H. 13. Jh. Die vorzüglich
gearbeitete Lilienkrone kurz vor 1349 in einer Prager Werkstatt gefertigt,
für die Aachener Krönung Karls IV. erstmals genutzt und
später der Büste aufgesetzt; der Bügel zur Angleichung an die Kaiserkrone
nachträglich, 1442 erstmals beschrieben. Achtseitiger Untersatz aus Holz mit
Metallverkleidung; die französischen Lilien deuten auf eine Stiftung des
ungarischen Königs Ludwig von Anjou um 1367. Die
seitlichen Löcher für Tragestangen, auf denen die Büste Karls zum Empfang
eines zu krönenden neuen Herrschers getragen wurde. – Sog.
Karlsreliquiar, Kapellenreliquiar aus Silber getrieben,
gegossen und vergoldet mit Perlen, Edelsteinen und Emails, 3. V.
14. Jh. Wohl in engem Zusammenhang mit dem Reliquienkult Karls
IV. entstanden. Typus und Aufbau verwandt südfranzösischen und italienischen
Grabmonumenten des 14. Jh. Auf einer von acht Löwen getragenen Bodenplatte
Standfiguren (Engel, Papst Leo III., Bischof
Turpin von Reims, die Paladine Karls des Großen
Roland und Oliver) neben
Säulen, die einen Reliquienkasten tragen, darin die von Engeln gehaltene
Beinreliquie Karls. Weitere Reliquien in der Baldachinarchitektur darüber
mit den Figuren Karls des Großen und der hl.
Katharina zu Seiten der Madonna sowie in drei bekrönenden
Tabernakeln mit Christus und zwei Engeln. –
Dreiturmreliquiar, Kapellenreliquiar aus Silber getrieben,
gegossen und vergoldet mit Edelsteinen und Emails, um 1370/90
aus einer Aachener Werkstatt; die Bodenplatte neugotisch. Die filigrane
Tabernakelarchitektur verbindet gotische Architekturphantasie mit virtuoser
Goldschmiedekunst; wohl als Gegenstück zum >> Karlsreliquiar und wie
jenes als ein Abbild des himmlischen Jerusalems konzipiert. Drei
nebeneinanderstehende Türme von quadratischem Grundriss, im reichen Maßwerk
Bergkristallzylinder mit Reliquien; unter der Arkade des höheren Mittelturms
Standfigur Christi unter dem Lamm Gottes auf dem Gewölbeschluss, flankiert
in den seitlichen Türmen von Johannes Bapt. und dem knienden Stifter im
Gewand eines Subdiakons. Emails in Sockel und Fialen mit neutestamentlichen
Szenen sowie Darstellungen von Propheten, Aposteln, Märtyrern und
Jungfrauen. – Drei kleine
Heiltümer, Gürtel Mariens, Gürtel
Christi, Geißelstrick, jeweils in einem Schaugefäß aus Bergkristall, in
kunstvoller kelchförmiger Fassung aus vergoldetem Silber, getrieben und
gegossen, und mit Edelsteinen besetzt, zwischen 1360 und 1380
wohl in einer Prager Werkstatt entstanden. –
Armreliquiar
Karls des Großen, Silber vergoldet, 1481 von Ludwig XI. von
Frankreich gestiftet, wohl aus einer Lyoner Werkstatt. Sog.
sprechendes Reliquiar des rechten Unterarms, des Schwur- und Schwertarms. –
Figur des hl. Petrus, Silber, z. T. vergoldet, um
1510, Meistermarke des Hans von
Reutlingen und Aachener Beschau. In der rechten Hand ein
Eisenglied der Kette, mit der der Apostel in Rom gefesselt worden war; im
Sockel weitere, nicht identifizierte Reliquien. –
Reliquiar
in Form einer Monstranz, Silber getrieben, gegossen und vergoldet, um
1515 mit Meisterzeichen des Hans von
Reutlingen und Aachener Beschau; im Zentrum zwei Medaillons
mit Auferstehung Christi und Lamm Gottes, Silber getrieben, gegossen,
vergoldet und graviert, italienische Arbeiten, 1432 durch Papst
Eugen IV. gestiftet. Darüber das eigentliche Behältnis mit
Kreuzpartikel. –
Monstranz, Silber getrieben, gegossen und
vergoldet, mit Meisterzeichen des Hans von
Reutlingen und Aachener Beschau; angeblich Krönungsgeschenk
Karls V.1520. Folgt noch dem Typus einer gotischen
Turmmonstranz, anstelle des Schaugefäßes ein barocker Strahlenkranz,
Edelsteinbesatz z. T. 1842. Im umgebenden Rankenwerk und in
architektonischen Details werden spätgotische in Renaissanceformen
überführt.
Passionsaltar (Aachener Altar), Triptychon, Öl auf
Eichenholz, um 1515/20 vom sog. Meister
des Aachener Altars, gestiftet für den Kreuzaltar der Kölner
Karmeliterkirche vom Provinzial des Klosters Theodoricus de Gouda
(† 1539); 1872 für das Aachener Münster erworben. Geöffnet
zeigen Flügelinnenseiten und die Mitteltafel Szenen der Passion, im Zentrum
der Kalvarienberg mit dem knienden Stifter; auf den Flügelaußenseiten
jeweils drei Heilige, Antonius von Ungarn, Barbara, Sebastian, sowie
Laurentius, Katharina, Angelus.
Sog.
Schatzkammer-Evangeliar, Aachen, A. 9. Jh.;
Teil der urspr. liturgischen Ausstattung der Pfalzkapelle. Einspaltig
geschrieben in karolingischer Minuskel, Titel und Überschriften in
Großbuchstaben (Capitalis rustica). Den vier Evangelien Kanontafeln in
Architekturrahmung nach Vorlage aus der Zeit um 400 vorangestellt sowie eine
einzigartige ganzseitige Miniatur, die alle vier Evangelisten an
Schreibpulten in einer Landschaft zeigt; der wohl aus Italien stammende
Maler von spätantiker Malerei beeinflusst; verwandt das gleichzeitige
Krönungsevangeliar. –
Elfenbeindiptychon, Aachen, Hofschule,
A. 9. Jh., urspr. wohl der Einband eines 812 entstandenen
Sakramentars in Cambrai, im 14. Jh. für
ein Intonationsbuch wiederverwendet und von Silberrahmen eingefasst. Die
sechs Szenen der Erscheinung Christi nach der Auferstehung (Lk. 24, Joh. 20
und 21) wohl nach spätantiken Vorlagen. –
Evangeliar,
Reichenau, kurz vor 1000, von Kaiser Otto
III. vermutlich aus Anlass der Gründung des Königskanonikats
im Jahr 1000 dem Krönungsstift geschenkt.
Einspaltig geschrieben in karolingischer Minuskel, Titel und Überschriften
in goldenen Großbuchstaben, ergänzt um Miniaturen nach spätantiken,
mittelbyzantinischen und Trierer Vorlagen (vier Evangelistenbilder, vier
Initialseiten, 21 z. T. in zwei Zonen bemalte Seiten mit Szenen aus dem
Leben Christi) zusammengestellt. Auf dem doppelseitigen Widmungsbild links
der Mönch Liuthar, der das Buch übergibt, rechts die Apotheose des Kaisers.
–
Goldener Buchdeckel, westdeutsch, A. 11. Jh.,
wohl in derselben Werkstatt wie die goldene >> Altartafel und im
Rahmen derselben kaiserlichen Stiftung entstanden; bis 1972 Vorderdeckel des
>> Schatzkammer-Evangeliars. Eingefasst von Edelsteinborten mit
Filigranen, ist die Fläche durch mit Edelsteinen und Zellenschmelze besetzte
Stege in Form eines Kreuzes aufgeteilt. In dessen Zentrum eine große
byzantinische Elfenbeintafel des 10. Jh. mit der Halbfigur einer Madonna vom
Typus der Hodegetria. In goldgetriebenen Flachreliefs seitlich um den
Kreuzbalken die Evangelistensymbole, darüber und darunter Geburt und
Kreuzigung Christi, die Frauen am leeren Grab und Himmelfahrt Christi. –
Silberner Buchdeckel, um 1170/80,
oberrheinisch, als Gegenstück des ottonischen Buchdeckels bis 1870 an der
Rückseite des >> Schatzkammer-Evangeliars, seitdem als Frontale auf
dem ottonischen >> Evangeliar. Umgeben von silbergetriebenen Reliefs,
oben und unten je zwei Evangelisten, seitlich jeweils ein Erzengel, im
Zentrum zwei schmale byzantinische Elfenbeintafeln des 10. Jh. mit den hll.
Johannes Ev. und Theodor bzw. Johannes Bapt. und Georg; urspr. Flügel eines
kleinen Triptychons, in dessen Zentrum die Tafel der Hodegetria aus dem
>> Goldenen Buchdeckel stand.
Zu den in großer Zahl in der Schatzkammer verwahrten Stoffen gehören neben
den textilen Reliquien im >> Marienschrein vor allem die ehem.
Reliquien bergenden Seidenstoffe des 6.–10. Jh. meist byzantinischer oder
orientalischer Herkunft.
Quadrigastoff, Seide, Byzanz,
6.–8. Jh. Ehem. Teil der Leichentücher Karls des
Großen. –
Greifenstoff, Seide, Lucca oder
Venedig, A. 14. Jh. Ehem. angeblich von Karl IV. im
Karlsschrein niedergelegt. –
Blaue Kasel, sog.
Bernhardskasel, der dunkelblaue Grundstoff im 18. Jh. erneuert, die
Perlenstickerei, Palmetten- und gegenständige Blattranken, 2. H.
12. Jh. –
Krönungsmantel, sog. Cappa Leonis,
M. 14. Jh., wohl bei den Krönungen Karls
IV. 1349, Sigismunds 1414 und sicherlich
Karls V. 1520 benutzt. Dunkelroter Seidensamt,
Italien, 14. Jh., gemustert mit goldgestickten Quadraten und mit
silbervergoldeten Rosetten besetzt; Randborte 14. Jh., Köln, besetzt mit
Silberglöckchen und bestickt mit Sternen und Propheten; das Seidenfutter
um 1414, Italien.
Olifant, sog. Jagdhorn Karls des Großen,
Elfenbein, sarazenische Arbeit, wohl um 1000 aus Unteritalien.
Sechzehnfach facettierte Spitze eines Stoßzahns, die umlaufenden Streifen
mit Spiralranken, an der Öffnung mit Tierszenen. Edelsteinbesetzte
Metallbeschläge 19. Jh., der Riemen
Genueser Samt, 17. Jh., mit Schriftbesatz
und Beschlägen eines Gürtels, E. 14. Jh. –
Zepter, ein glatter Stab mit Wulst und bekrönender Taube,
Silber vergoldet, England, um 1220; gilt als Zepter
Richards von Cornwall, das 1262 an das Marienstift
geschenkt wurde. –
Krone der Margarete von
York, Silber vergoldet, wohl 1461 anlässlich der
Krönung Edwards VI. zum englischen König in England
entstanden. Am Reif Perlenreihen sowie hier und an den Zacken aus Email mit
Edelsteinen besetzte weiße Rosen des Hauses York. 1468 zur Eheschließung mit
Karl dem Kühnen von Burgund das burgundische Wappen an der Rückseite
angebracht. 1474 dem Aachener Gnadenbild
gestiftet; der Deckel des Lederfutterals geprägt mit den Wappen von England
und Burgund.
Proserpina-Sarkophag, Carrara-Marmor, Rom, spätes
2. Jh.; heute ohne Deckel. In dem wohl auf Veranlassung
Karls des Großen nach Aachen überführten Sarkophag
war dieser vermutlich von 814 bis zur Erhebung seiner Gebeine 1165 an einem
bislang nicht lokalisierten Ort in der Pfalzkapelle bestattet. In stark
bewegtem Relief die Darstellung des Raubes der Proserpina und ihre
Entführung in die Unterwelt. Der heidnisch-antike Mythos wurde wohl
allegorisch auf Tod und Wiederkehr des Herrschers bezogen.