FREIE HANSESTADT BREMEN-INNENSTADT / Ev. Pfarrkirche Unser Lieben Frauen
Ev. Pfarrkirche Unser Lieben Frauen, ehem. St. Veit. (Unser Lieben Frauen Kirchhof). Älteste Pfarrkirche Bremens, auch Markt- und
Ratskirche. Die Gründung unter Erzbischof Unwan (1012-1029) wegen des St. Veit Patronats möglicherweise in Verbindung mit einer älteren Stiftung zu sehen. Fraglich, ob der
als „Beinkeller“ überlieferte Raum unter dem nördl. Seitenschiff als Teil dieser Pfarrkirche angesehen werden kann. Erst aus der M. 12. Jh.sind in der Nordwand und mit dem
Südturm gesicherte Reste eines Vorgängerbaues erhalten, der sich nach ergrabenen Fundamenten zu einer Basilika rekonstruieren läßt; die ausachsige Lage des Südturms
indiziert ferner die Anlage einer Doppelturmfront. Mit der Weihe dieses Baues um 1160 scheint auch der Übergang des Patroziniums an Maria vollzogen worden zu sein; erste
urkundliche Erwähnung des Marienpatroziniums indes erst 1220. — Bald nach 1230 wird mit dem Bau der heutigen Hallenkirche begonnen; der Neubau steht im Zusammenhang mit dem
Aufschwung der politischen Gemeinde infolge der Hilfestellung der Stadt im Kreuzzug gegen die Stedinger und dem durch Erzbischof Gerhard II. veran- laßten Umbau von St.
Aegidius in Berne. Der Bau nutzt die Breite des Vorgängers und den Südturm. E. 14. Jh. kam es, zugleich mit dem Bau eines 4. Hallenschiffes mit Portal an der Südseite und
der Vergrößerung der Fenster, zu einer Erweiterung des Chores, der als dreijochi- ger, gerade geschlossener Raum für eine Pfarrkirche auffallend groß ist. Das 4.
Hallenschiff 1857 wieder von der Kirche abgetrennt und für Zwecke der Gemeinde zweigeschossig umgebaut. Nach 1881 Ausbau des Westgiebels zwischen den Türmen durch
Dombaumeister M. Salzmann anstelle einer zuvor angebauten dreigeschossigen Gemeindeschule.
Äußeres. Das Findlings- und Quadermauerwerk des gedrungenen Südturms mit gekuppelten Rundbogenfenstern und mit Blendfriesen dem Bau des 12. Jh. zugehörig, ebenso Teile der
Nordseite mit den beiden romanischen Portalen. Der Bau des 13. Jh. erfolgte nach außen in Portasandstein und an den Dreiecksgiebeln der quergestellten Sattel dächer in
Backstein. Aus dieser Zeit stammt auch der gegenüber dem Südturm wesentlich höhere und großteiliger gegliederte Nordturm; die achtteilige Spitze über 4 Giebeldreiecken
vermutlich erst 1. V. 14. Jh. - Während sich die Nordfront in schmuckloser Monumentalität erhebt, ist die Südfront des 14. Jh. durch Pfeilervorlagen in 3 den Giebeln
entsprechende Abschnitte unterteilt; die Giebel durch jeweils 5 gestaffelte, ihrerseits reich unterteilte spitzbogige Blendnischen gegliedert, wie am jüngeren Rathaus mit
glasierten Steinen. Die Befenste- rung der Front und die Brüstung am Fuß der Giebel 19. Jh. Gliederung des Chores durch dreifach abgesetzte Pfeilervorlagen. - 1909 wurde
dem Nordturm das Denkmal des Moltke zu Pferde von H. Hahn, München, mit Inschrift von Rudolf Alexander Schröder angefügt.
Das Innere erweist sich als eine der reinsten frühgotischen Hallenkirchen westfälischen Typs. Sie hat 3 auf 3 Joche und wurde von denselben Werkleuten gestaltet, die zuvor
unter Erzbischof Gerhard II. das Südschiff im Dom eingewölbt hatten. Wie dort wurden hier 4 der 9 Gewölbe achtteilig, mit Ringrippen und zapfenförmigem Schlußstein,
ausgeführt; dieselbe Lösung findet sich auch im Turmjoch. Alle anderen Joche haben Kreuzgewölbe auf Rundstabrippen. Diese wachsen aus kreuzförmigen Pfeilern mit Eckdiensten
für die Rippen und mit Halbsäulenvorlagen, die sich in Wulstform unter den Gurt- und Schildbögen fortsetzen. Die Werksteinarbeiten, darunter auch die Kelchblockkapitelle
mit stilisiertem Blattwerk, von einer Hütte, die das westfälische Hallenschema der Marienkirche in Lippstadt nach N verbreitete (u.a.bis nach Riga, Domkreuzgang). Wände und
Gewölbe um 1960 zur Verbesserung der Akustik durch D. Oesterlen, Hannover, des Putzes beraubt. Bescheidene Reste von Fresken in den Gewölbeflächen des
Nordschiffs bezeugen, daß der heute im rohen Backstein stehende Raum urspr. seine Einheitlichkeit von einem dünnen Putzüberzug mit farbiger Fassung empfangen hat. Der
Maßnahme fielen auch Feinheiten der Bildhauerarbeiten zum Opfer. — Der untere Raum des Nordturmes, früher Tresekammer des Rates zur Aufbewahrung der wichtigsten Urkunden
der Stadt, wurde nach 1924 durch O. Blendermann zu einer Kriegergedächtnisstätte umgebaut.
Ausstattung. Die mittelalterliche Ausstattung der kalvinistischen Bilderfeindlichkeit zum Opfer gefallen. — Kanzel von G.Rode, 1709 von Simon Post
gestiftet; am Kanzelkorb Evangelisten, an den Ecken Tugenden, der Aufgang mit üppigen Akanthusranken. - An der Westwand des Nordschiffes Epitaph des Dietrich v. Büren
(+1686) mit einer Darstellung der Auferweckung des Jünglings von Nain von D. Etener aus Kopenhagen, der Quellinus-Schule nahestehend. — Flämische
Leuchter M. 17. Jh. - Bedeutendster Beitrag der Nachkriegsbaumaßnahme die farbkräftige Verglasung, 1966-73 von A. Manes- sier, mit einer Deutung des
Pfingstwunders im Mittelpunkt.
Der „Beinkeller“ unter der Nordostecke des Hallenbaues, beinahe ein Viertel von dessen Grundfläche einnehmend, ist heute nur durch den von Oesterlen
1960 geschaffenen Sakristeianbau zugänglich. Der niedrige, aus Findlingen und roh bearbeiteten Quadern gefügte Raum mit 4 Kreuzgewölbejochen ohne Rippen über quadratischem
Mittelpfeiler, dem Typ des Steinwerks - vgl. St. Marien in Osnabrück - nahestehend, ohne daß bauliche Zusammenhänge erkennbar wären. Der Raum spätestens seit dem Neubau des
13. Jh. und der Fundamentierung des nordöstl. Hallenpfeilers als Beinhaus, später auch als Versammlungsraum von Bruderschaften und für Grablegen genutzt. Mit diesen
Nutzungen in Verbindung stehen das Fresko im südwestl. Joch, eine qualitätvolle, durch die Fehlstellen allerdings schwer deutbare Darstellung (Jesus vor dem Hohen Rat und
Verklärung Christi?) um 1400, sowie das Sandstein-Portal der Grablege der von Koetschau und von Dalwig, um 1730. — Restaurierung 1985—87.